Gérard Gachet : Biografie

Gerard Gachet wurde am 18.Juli 1935 in Fez (Marokko) geboren. Er studiert ein Jahr an der Kunstakademie in Paris und zwei Jahre an der Akademie für angewandte Kunst in Straßburg. Darauf folgt eine dreijährige Ausbildung als Bühnenbildner im "Centre dramatique de l’Est", ebenfalls in Straßburg. Nebenher übt er alle möglichen Jobs aus, begeistert sich für Musik und Chanson und pendelt zwischen Paris und Straßburg. Für fünf Jahre arbeitet er als Zeichenlehrer an Gymnasien in Metz und Saverne, bis er 1965 beschließt, sich endgültig in Straßburg niederzulassen und sich ganz seinem künstlerischen Schaffen zu widmen. Um zu den Klüngeln des Pariser Kunstbetriebs auf Distanz zu bleiben, läßt er sich in der elsäßischen Provinz nieder. Wie einige Maler des XIX. Jahrhunderts will er sein Leben in den Dienst der Kunst stellen und allem moralischen, emotionalen, familiären, sozialen und wirtschaftlichen Anpassungsdruck widerstehen. Er will nur er selbst sein, und das bis zur letzten Konsequenz.

Gachet wendet sich von den traditionellen Techniken ab und zeichnet im wesentlichen mit Kugelschreiber, mit dem er den gewünschten "satten" Strich erzielt, den er mit der Feder nicht erreicht, und mit Fett- und Weißstift oder dem Vibrierstift. Er fertigt auch Lithographien und Kupferstiche an, doch seine Vorliebe gilt der Zeichnung, denn er mißt dem Wert der grauen Zwischentöne, die er auf farbigen Unterlagen herausarbeitet, eine immer größere Bedeutung bei. Seine Arbeiten sind ein- bis zweifarbig, denn die Farbe erscheint ihm als zu "geschwätzig" für seine Eingebungen. Die Malerei betreibt er nur selten, und dann auf Radierkarton, der es ihm ermöglicht, den zuvor eingefärbten Untergrund durch Abschaben zu verändern.

Jede seiner Zeichnungen kostet ihm im Schnitt einen Monat Arbeit. Diese beginnt in der Regel mit einer Serie von Skizzen eines Modells. Schon hier deutet sich die "Inszenierung" der Zeichnung an, die später in der graphischen Endgestaltung festgehalten werden soll.

Die mehr oder weniger erotische Atmosphäre einer Sitzung kann sich dementsprechend als entscheidend für das entstehende Werk erweisen. Gachet meint nicht, daß seine Skizzen an sich schon Kunst(form) seien. Vielmehr stellen sie sein Arbeitsmaterial dar und sind eine bescheidene Etappe im Werdegang einer Zeichnung. Nach den besten Skizzen erstellt er dann vorbereitende Detailentwürfe und schafft mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit die Komposition der Zeichnung, ihre Ausgewogenheit und Harmonie, das unbeschreibliche Pulsieren ihrer geheimen Alchimie.

Wie Molinier, dem er bis auf die erotische G rund konstante in nichts verwandt zu sein scheint, ist er bestrebt, in jeder Zeichnung die "goldene Zahl" zu suchen, jenes fast magische Verhältnis zwischen Form, Masse und Relief, das ein Wunder an Abstraktion im metaphysischen Sinn in seiner wechselseitigen Zuordnung hervorhebt.

Zu notorischer Schlaflosigkeit neigend, betreibt Gachet diese langwierigen Vorbereitungen während der Nacht oder besser gesagt in den frühen Morgenstunden, in einem Zustand extremen Empfindungsvermögens und besonderer Klarheit. Manchmal notiert er eine Eingebung nur und bringt sie nicht gleich zu Papier, sondern geht zuerst angeln. Dieser frühmorgendliche Kontakt mit der Natur ist ihm unverzichtbarer Teil seiner Arbeit, denn aus ihm holt er die taktilen und visuellen Eindrücke, die der wahre Nährboden seines Werkes sind. Die ordnende Umarbeitung dieser Eindrücke in Entwürfe erfolgt im nachhinein. Die eigentliche Zeichnung ist dann nur —trotz aller Schwierigkeiten und Verzögerungen bei ihrer Verwirklichung — der eher technische Teil der Arbeit, die Vergegenständlichung und Inszenierung eines bereits gefundenen und visuell erarbeiteten Sujets auf Papier. Um die größtmögliche Übereinstimmung zwischen der Natur als Quelle der Inspiration und dem Werk als seiner daraus entstehenden Eingebung zu erreichen, muß der Künstler sich eine innere Bereitschaft bewahren, die es sorgfältig vor äußeren Einflüssen zu schützen gilt.

Dies erklärt wahrscheinlich auch Gachets Mißtrauen gegenüber dem Surrealismus (dem er sich allerdings noch 1968 verwandt genug fühlte, um seine Bilder in einer Ausstellung "Elsässischer Surrealisten" aufhängen zu lassen). Besonders wirft er ihm die Absicht vor, "sein Vorgehen in einem methodischen System der Unordnung zu kodifizieren" und "sich ausgehend von seinen Prinzipien selbst erzeugt zu haben". Der Surrealismus habe sich "als historische Schule seine eigenen ästhetischen und politischen Verpflichtungen" erst geschaffen, mit anderen Worten einer Unerbittlichkeit gehorcht, die mit seinem Anspruch auf Freiheit nicht in Einklang steht. Die Härte seines Urteils hindert Gachet nicht daran, Max Ernst unter die von ihm bewunderten Künstler zu rechnen, jedoch nur dann, "wenn er sich darauf einläßt, wirklich phantastisch und nicht nur surrealisierend zu sein". In jedem Falle rangiert auch er weit hinter Fuchs, den Gachet über alle anderen stellt. Wenigstens vordergründig im Widerspruch dazu sieht Gachet am liebsten die Malerei Goyas und Rembrandts, eine Malerei großer Direktheit, weit entfernt von der Symbolik, die er selbst in seine Zeichnungen legt. Am wenigsten erträgt er Maler, die ihren gängigen Stil beinahe serienmäßig ausschlachten. Er selbst wechselt Stil und Technik immer dann, wenn er die Gefahr der Wiederholung spürt, quasi um sich zur eigenen Erneuerung zu zwingen.

Nichts verärgert ihn so wie die Mär, künstlerische Inspiration müsse aus der Erfahrung des Unglücks erwachsen. Gachet ist bei bester Schaffenskraft, wenn er glücklich ist. Um kreativ ganz aus sich herauszugehen, hat er ein unauslöschliches Bedürfnis nach geistiger und emotionaler Zufriedenheit. Nie war sein Schaffen qualitativ besser als in jener Zeit, da er auf dem Lande an einem Teich lebte, in dem er täglich angeln konnte, und in jenen letzten fünf Jahren, als ihm eine Frau den von ihm so sehr benötigten seelischen Rückhalt zu geben verstand. In den dunklen Momenten seines Lebens hingegen verließ ihn die Inspiration. Dieser Freund des Phantastischen, dieser unermüdliche Erforscher des Mysteriösen ist ein Mann, der gern lacht und gut ißt und der geliebt wird ob seines Witzes, seiner Großzügigkeit, Geselligkeit und seines Charmes. Immer inmitten von Büchern, Freunden und Tieren hat er eine besondere Leidenschaft für die Schönheit der Schlangen, wegen des aufregenden Gefühls im Kontakt mit ihrer Schuppenhaut und seiner Wahlverwandtschaft mit ihnen. Alser 1980 als Professor an die Akademie für angewandte Kunst in Straßburg zurückkehrt, widmet er beträchtliche Zeit jenen seiner Schüler, die er für wahre Künstler hält. Es sind dies zwei oder drei pro Jahrgang. Die übrigen betrachtet er als zu wenig motivierte "Pinsler".

Er interessiert sich brennend für Verhaltensforschung, Insektenkunde und Mineralogie und es ist seine Liebe zur Natur, bis hin zu ihren wunderlichen und ungehörigen Ausformungen, die er in seinen Arbeiten umsetzt und preist. So ist es wenig erstaunlich, daß Grausamkeit in seinen Werken nicht vorkommt, in denen vielmehr eine fleischliche, animalische und natürliche Sinnlichkeit vibriert. Denn Natur ist nicht grausam, sie ist gewalttätig. Es ist Gachets eigene ungestüme Gewalt, die an seinen Zeichnungen haftet, eine Gewalt, die unweigerlich in den Tod mündet, jenen Tod, aus dem sich alles Leben nährt.
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Jean Pierre BOUYXOU